Interview Gebietsmanagerin
Grüze+ ist einer von sechs Schwerpunkträumen, in denen Winterthur in den nächsten Jahren wachsen soll. Innerhalb des Amts für Städtebau begleitet Gianna Hartung die Entwicklung des Gebiets als Gebietsmanagerin.
Frau Hartung, mit der Querung Grüze entsteht eine ÖV-Drehscheibe, die dem Quartier einen Wachstumsschub geben soll. Grüze+ wird ein durchmischtes Wohn-, Produktions- und Arbeitsquartier werden. Das tönt nach vielen verschiedenen, teilweise gegenläufigen Interessen.
Gibt es Streit in der Grüze?
Gianna Hartung: Streit nicht, aber Auseinandersetzung, und das ist auch gut so. Die Stadt hat das Ziel, das Wachstum der Stadt sozial, wirtschaftlich und ökologisch verträglich, also nachhaltig zu steuern. Sie hat einen langfristigen Horizont, und sie bewegt sich in einem komplexen Rahmen von nationalen und kantonalen Vorgaben. Die Bedürfnisse und Interessen der in einem Quartier angesiedelten Firmen und Anwohnenden sind fundamentaler Teil einer Gebietsplanung, und wir holen sie in partizipativen Prozessen ab. Dabei sind wir darauf angewiesen, dass alle Beteiligten ihre Interessen klipp und klar äussern. Nur so gelingt eine erfolgreiche Planung.
Mit Planung wird versucht, den Schwierigkeiten der Ausführung zuvorzukommen. Klappt das denn auch?
Die Grüze entwickelt sich dynamisch, deshalb gibt es immer wieder Veränderungen und damit neue Möglichkeiten. Genau das macht meine Aufgabe so spannend: Ich kann situativ, auf laufender Basis und in direktem Kontakt mit Betroffenen und Beteiligten neue Chancen erkennen, diskutieren und umsetzen. Ein Beispiel ist der Neubau auf dem Gelatine-Areal. In der Stadtplanung wird heute der Erhalt von bestehenden Bauten aktiver gefördert und der Abriss wenn möglich vermieden, als dies noch vor zehn Jahren, zur Zeit der Entstehung des Gestaltungsplans der Fall war. So konnten im Architekturwettbewerb die schützenswerten Bestandesbauten in der Gelatine erhalten und durch
Neubauten ergänzt werden.
Meine Hauptaufgabe ist das Leiten von Projekten im Bereich der Stadtraumplanung, das Gebietsmanagement ist eine Zusatzaufgabe, für die ich 20 % meiner Arbeitszeit zur Verfügung habe. Diese Funktion soll die Planungen und Projekte der unterschiedlichen Stakeholder inhaltlich und zeitlich koordinieren und gemeinsam vorantreiben.
Das Gebietsmanagement für die Grüze haben Sie erst vor drei Monaten übernommen. Können Sie schon sagen, wo die grossen Herausforderungen und die grossen Chancen in der Entwicklung der Grüze liegen?
Wie gestalten wir den Transformationsprozess für alle verträglich, und wie nehmen wir alle mit im lange dauernden Prozess von der Planung über den Bau bis zur Nutzung? Die Grüze ist ein komplexes System, das sich permanent und schnell verändert. Und die Entwicklung bleibt auch in Zukunft schnell. Bis 2050 erhält der Bahnhof Grüze ein S-Bahn-Angebot, das mit dem heutigen am Hauptbahnhof vergleichbar ist.
Die Grüze stellt eine ausserordentliche Chance dar: einen Stadtteil so gestalten, dass er eine hohe Aufenthaltsqualität aufweist und eine durchmischte Nutzung zulässt. Ich denke, wir sind auf einem guten Weg dahin: Laufende Projekte wie der «Diamant» zeigen, wohin sich die Grüze entwickeln wird, und dass auch ausserhalb des Schwerpunktraums spannende Entwicklungen stattfinden, zeigt der «Green Spin». Und ich freue mich auf die «Oase» mit dem Richard-Ernst-Park und die neue «Gelatine».
Ein zentrales Anliegen ist für mich dabei die gute Aufenthaltsqualität, sowohl für die Bewohnerinnen und Bewohner wie auch für die Arbeitenden: mehr Grünflächen und schattige Sitzgelegenheiten für die Mittagspause mit Verpflegungsmöglichkeiten, ein lebendiger öffentlicher Raum, wo man sich auch nach der Arbeit gerne trifft, und die Gewährleistung von Sicherheit und Sauberkeit.
Was passiert auf den grossen Flächen zwischen der St. Galler- und der Frauenfelder Linie?
Die Bebauung der Flächen, die direkt links und rechts an die Brücke angrenzen, wird noch etwas dauern und ist abhängig von anderen Infrastrukturmassnahmen, wie beispielsweise der neuen Haltestelle Grüze Nord. Deshalb planen die SBB zusammen mit der Stadt eine Zwischennutzung der Flächen. Sie soll nach der Eröffnung der Brücke zur Verfügung stehen. Ich bin gespannt auf die Ideen!
Was passiert unmittelbar am Bahnhof und weiter südlich der Bahnlinie?
Ein weiterer städtebaulicher Meilenstein wird das neue Bustrassee sein. Ab Dezember 2026 verbindet die Stadtbuslinie 7 Neuhegi-Grüze direkt mit Winterthur Mitte.
Mittelfristig, bis 2031, entsteht mit der neuen Hannes-W.-Keller-Strasse eine neue zentrale Achse zum Sportpark Deutweg.
Im Süden, zwischen Gelatine und Brücke, wird von der Stadt die Realisierung einer Sekundarschulanlage geprüft. Diese soll den mittelfristigen Bedarf an zusätzlichem Schulraum auffangen.
Die Entwicklung vom heutigen Industriequartier bis zum Zielbild, dem vielfältigen, lebendigen Aufenthaltsraum dauert also noch einige Jahre, wenn nicht sogar Jahr- zehnte. Hand aufs Herz: Können Sie sich vorstellen, in der Grüze zu wohnen?
Definitiv! Von der geplanten Überbauung auf dem Gelatine-Areal bin ich begeistert, und ich bin sicher, dass in den nächsten Jahren neue, spannende Projekte entstehen werden. Ausserdem gefällt mir das Quartier mit seinen unterschiedlichen Nutzungsgebieten; Neues und Spannendes entsteht immer an den Bruchstellen und Rändern.

Gianna Hartung arbeitet im Amt für Städtebau der Stadt Winterthur. Neben ihrer Kernaufgabe als Projektleiterin für Raumentwicklung ist sie seit diesem Frühling die Gebietsmanagerin für den Schwerpunktraum Grüze+. Sie hält einen Master in Geografie der Universität Zürich und einen MAS für Raumplanung der ETH. Sie setzt sich in ihrer beruflichen Tätigkeit neben der Gebietsentwicklung in der Grüze mit Richt-, Nutzungs- und Sondernutzungsplanungen in der Stadt Winterthur auseinander.