Interview Generalplaner
«Infrastruktur wird für die Zukunft gebaut»: 2014 hat die dsp Ingenieure + Planer AG das Mandat als Generalplanerin für den Bau der Querung Grüze gewonnen. David Wyden ist seit Ende 2014 für die Bauabläufe und die Kosten verantwortlich, seit dem Start des Bauprojekts ist er verantwortlicher Gesamtprojektleiter.
Herr Wyden, sah die erste Skizze der Querung Grüze vor mehr als zehn Jahren ähnlich aus wie die Brücke, die jetzt gebaut wird?
David Wyden: Ob es so etwas wie eine erste Skizze der Querung Grüze gab, ist mir nicht bekannt. Die Lage und die grundsätzliche Formgebung waren das Ergebnis diverser Studien, die die Basis für die damalige Ausschreibung bildeten. Sie haben vor allem die Funktion der Brücke festgelegt: Welche zukünftigen Aufgaben soll sie erfüllen? Der Schwerpunktraum Grüze+ wird sich in den nächsten 10 bis 25 Jahren dynamisch entwickeln. Was wir jetzt an Infrastruktur bauen, wird seine Wirkungen erst in Zukunft vollumfänglich entfalten.
Das heisst, der Planungszeitraum liegt bei 30 bis 50 Jahren. Konnte man bei der Projektentwicklung alle zukünftigen Anforderungen an das Bauwerk berücksichtigen?
David Wyden: Im Grundsatz ja, im Detail nein. Der Bau der Querung Grüze ist Teil der Winterthurer Entwicklungsstrategie. Darin sind der übergeordnete Zweck und die damit verbundenen Anforderungen an das Bauwerk definiert, und unser Entwicklungsteam konnte diese ganzheitlich berücksichtigen.
Die Umsetzung erfolgte dann schrittweise und wurde in jeder Phase konkreter und detaillierter: Der Stadtrat hat über das Vorprojekt entschieden, dann folgten das Auflageprojekt zur Vernehmlassung und das Bauprojekt als Basis für die Abstimmung. Mit dem Ausschreibungsprojekt haben wir die Baupartner festgelegt, und vor dem Baustart erfolgte die Ausführungsplanung, die angesichts der Baustelle eine besonders schwierige Aufgabe war: Wir bauen neben und über einer der meistbefahrenen SBB-Strecken der Schweiz, die Logistik der einzelnen Bauplätze wie zum Beispiel der Pfeiler im Perronbereich ist sehr schwierig, und die Planung der Arbeiten muss auf die Stunde genau erfolgen – wenn der Bau das Abschalten einer Fahrleitung oder die Sperrung eines Geleises erfordert, müssen wir das genaue Datum und den genauen Zeitraum zweieinhalb Jahre vorher bei der SBB beantragen, ohne Verschiebungsmöglichkeit.
Detaillierte Planung ist ein Muss. So auch beim Betonieren der ersten Etappe der Brückenplatte am 11. und 12. September: Innerhalb nicht einmal eines Tages mussten 2600 Tonnen Beton verbaut werden. Das geht nicht ohne minuziöse Planung durch die Bauunternehmung, Nachtarbeit und reibungslose Zusammenarbeit aller Beteiligten.
Detaillierte Planung heisst in der Regel wenig Flexibilität.
David Wyden: Unsere Baustelle verlangt grosse Flexibilität. Unsere Bauleitung vor Ort ist im permanenten Austausch mit den involvierten Bauunternehmen und stimmt das Tagesgeschäft mit der langfristigen Planung ab. Dabei können wir Erfahrungen aus dem laufenden Bau berücksichtigen.
Ein Beispiel dazu: Vom Unterwerk Grüze führten sechzehn 15-Kilovolt-Speiseleitungen über die Brücke zu den Fahr- und Übertragungsleitungen. Das machte das Arbeiten und vor allem die Logistik schwierig: direkt neben der Frauenfelder Linie mit einer Zugsdurchfahrt alle 10 bis 15 Minuten, direkt unter den Leitungen mit 15 000 Volt. Um unter diesen Leitungen sicher bauen zu können, mussten wir den Bau der Brücke daher ursprünglich innerhalb eines Schutztunnels planen. Wir haben dann aber in Gesprächen mit der SBB eine andere Lösung gefunden: die 15-Kilovolt-Leitungen in den Boden verlegen. Das hat einerseits Mehrkosten für das Umlegen der Leitungen mit sich gebracht, andererseits aber bedeutende Kosten für die Logistik eingespart.
Flexibilität ist aber nicht nur von uns, sondern auch vom Bauwerk gefordert. Eine wichtige Anforderung an die Querung Grüze ist Aufwärtskompatibilität – das Bauwerk muss dafür geeignet sein, zukünftige Erweiterungen oder Anpassungen ohne grössere Umbauten zu erlauben. Ein Beispiel dafür ist die 2019 beschlossene Elektrifizierung der Buslinie 7 und, damit verbunden, die Integration eines Gleichrichters in der Rampe Süd. Oder dann die SBB-Haltestelle Grüze Nord: Ihr Bau war ursprünglich erst 2050 vorgesehen, er wurde dann aber vom eidgenössischen Parlament für uns überraschend in den Ausbauschritt 2035 aufgenommen – also rund 15 bis 20 Jahre vorverschoben. Die zukünftige Haltestelle hat Einfluss auf die Gestaltung des Abgangs zur Hegistrasse: Hier müssen wir die künftigen Perrons auf beiden Seiten der Frauenfelder Linie und deren Einfluss auf Treppen und Lifte bereits mitdenken, obwohl sie erst in zehn Jahren gebaut werden.
Kennzahlen • Gesamtlänge: 390 m • Länge der Brücke: 245 m • Spannweiten: 14,8 m bis 27 m • Zentraler Brückenplatz mit 22,5 m Breite • Stärke der Brückenplatte: 25 cm bis 110 cm • Gesamtgewicht: rund 22 000 Tonnen • Planungsbeginn: 2014 • Projektfestsetzung durch den Stadtrat: 2019 • Volksabstimmung: 2020 • Baubeginn: Dezember 2022 • Inbetriebnahme: Dezember 2026 |
Die Querung Grüze erfüllt bei Inbetriebnahme also Anforderungen, die erst in 10 oder 15 Jahren zum Tragen kommen. Leben wir bis dahin mit einem Provisorium?
David Wyden: Ein wichtiger Teil unserer Arbeit ist das Aufzeigen von Zwischenzuständen und möglichen Nutzungen dafür. Ein Beispiel: Für den Busbetrieb sind auf der Brücke je zwei Haltestellen für Doppelgelenkbusse geplant. Eingesetzt werden Doppelgelenkbusse aber erst in mehreren Jahren. Welche Funktion können die noch nicht von Stadtbus genutzten Flächen bis dahin haben? Dazu sind wir im Dialog mit den verschiedenen Beteiligten. Die Brücke ist bei Inbetriebnahme zwar gebaut und erfüllt ihre Aufgabe, aber die Art und Weise ihrer Nutzung verändert sich über die Zeit.
Die Nutzung des Bauwerks verändert sich also, während es gebaut wird?
David Wyden: Genau das gefällt mir so gut an meiner Arbeit: die langfristige und ganzheitliche Beschäftigung mit einem Bauwerk und seinen Wirkungen. Ich als Bauingenieur habe im Projektverlauf mit Kolleginnen und Kollegen aus den Bereichen Geologie, Städte- und Verkehrsplanung, Umweltschutz sowie Elektrizitäts- und Beleuchtungsplanung zu tun. Ich bin im steten Austausch mit der Auftraggeberin, der Stadt Winterthur mit ihren verschiedenen Departementen, mit kantonalen Stellen, mit der SBB, mit unseren Baustellenpartnern, mit Grundeigentümerinnen und Grundeigentümern und nicht zuletzt mit der Anwohnerschaft. Die Bedürfnisse aller Anspruchsgruppen zu verstehen, gemeinsam Lösungen zu finden und sie umzusetzen, finde ich ebenso interessant wie befriedigend.
David Wyden leitet die Generalplanung für die Querung Grüze. Er ist diplomierter Bauingenieur FH, hält einen Master in Wirtschaftsingenieurwesen und führt bei dsp den Bereich Projektmanagement.
Die dsp Ingenieure + Planer AG realisiert seit 1985 mit ihren Partnerfirmen und über 250 Mitarbeitenden anspruchsvolle Bauprojekte in der Schweiz und im Ausland.
- dsp Ingenieure + Planer AG, Uster: Gesamt- und Bauleitung, Brücken-, Strassen-, Werkleitungs- und Bahnbau
- Atelier 231, Zürich: Städtebau, Gestaltung
- Wiederkehr und Partner, Spiez: Beleuchtung
- flender Generalplaner, Waldshut-Tiengen: Haltestelleninfrastruktur