Für acht Durchgangsgleise fehlt in Winterthur der Platz
Als Folge eines breit abgestützten Postulats aus dem Stadtparlament ist der Variantenentscheid der Stadt Winterthur und der SBB aus dem Jahr 2021 zum Ausbau des Hauptbahnhofs noch einmal geprüft worden. Dabei ist er neuen Vorschlägen mit sieben oder acht Durchgangsgleisen gegenüberstellt worden. Diese vermögen aus verschiedenen Gründen nicht zu überzeugen. Trotzdem fliessen Erkenntnisse in die beginnende Testplanung der Stadträume um den Bahnhof mit ein.
Der Verkehr am Hauptbahnhof Winterthur wird gemäss Prognosen des Bundes in den nächsten dreissig Jahren stark zunehmen, von heute täglich etwa 120'000 Ein- und Aussteigenden auf 180'000. Auch die Zahl der angebotenen Zugverbindungen wird stark erweitert. Mit der Eröffnung von «MehrSpur Zürich-Winterthur» mit dem Brüttener Tunnel als Kernstück steigt die Kapazität ab Mitte der Dreissigerjahre von 670 auf 900 Züge pro Tag. Um dieses Wachstum zu bewältigen, ist ein Ausbau der Bahnhofsanlage selbst, aber auch der angrenzenden Stadträume wie Unterführungen, Plätze und Bushof nötig. Im Rahmen der städtischen Testplanung Stadtraum HB werden bis Ende 2026 durch mehrere Planungsteams gestalterische und verkehrliche Lösungen für die Stadträume um den HB gesucht. Begleitet werden sie dabei von Vertretungen von 40 Quartierorganisationen, Interessensverbänden, politischen Parteien sowie Grundeigentümerschaften (Medienmitteilung vom 4. Februar 2025).
Zum Ausbau des Bahnhofs selbst haben die Stadt Winterthur und die SBB bereits von 2019 bis 2021 das Konzept «Bahnhof Winterthur 2045+» erarbeitet (Medienmitteilung vom 5. Oktober 2021). Dessen Schlussfolgerungen, ein Bahnhofsausbau mit sieben Durchgangsgleisen und einem neuen dreigleisigen Wendebahnhof Vogelsang, wurden in jüngerer Zeit kritisch hinterfragt. So fordert auch das von 45 Parlamentsmitgliedern unterzeichnete Postulat «HB 2050: Das Maximum aus dem Bestehenden herausholen», den Variantenentscheid noch einmal genau zu begründen und Verbesserungen zu prüfen. Im Postulat wird auf eine durch eine Privatperson verfasste Einschätzung verwiesen, wonach die nötigen Zugbewegungen sich durch Optimierung der Gleisanlage auch auf sieben Durchgangsgleisen abwickeln liessen. Der Verein «Unser Bahnhof Winterthur» brachte seinerseits einen Vorschlag mit acht Durchgangsgleisen in die Diskussion ein, wobei das achte Gleis direkt von der Rudolfstrasse zugänglich sein soll («Stadtperron»). In beiden Fällen wird argumentiert, es könne auf einen Wendebahnhof verzichtet werden und die Eingriffe in die Rudolfstrasse könnten gering gehalten werden
Knackpunkte: Flächenbedarf, Denkmalschutz und Niveausprung zur Rudolfstrasse
Die Stadt Winterthur freut sich über das aktive Interesse und Engagement für die Zukunft des Hauptbahnhofs. In zwei moderierten Dialogrunden im November und Dezember 2024 wurden die Verfasser:innen der Vorschläge zum Austausch mit der SBB und der Stadt Winterthur eingeladen, wobei auch Verfassende des Postulats vertreten waren. In der Folge wurden verschiedene Thesen und Szenarien zum Bahnnhofsausbau durch Fachleute der SBB und ein externes Planungsbüro geprüft. Die Berichte liegen der Postulatsantwort bei.
Zusammenfassend liess sich feststellen, dass ein Betrieb auf sieben Durchgangsgleisen ohne zusätzlichen Wendebahnhof aus verschiedenen fahrplanstrukturellen Gründen nicht möglich ist. Mit acht oberirdischen Durchgangsgleisen (Vorschlag «Unser Bahnhof Winterthur») könnten hingegen alle geplanten Verbindungen angeboten und es könnte auf einen Wendebahnhof verzichtet werden. Allerdings wäre der Raumbedarf deutlich grösser als von «Unser Bahnhof Winterthur» angenommen. In deren Vorschlag wird mit schmaleren Perronbreiten als den vorgegebenen 10,5 Metern gerechnet, was aus Sicherheitsgründen nicht in Frage kommen dürfte. Auch die aussen liegenden Perrons sind zu schmal gedacht. Der Vorschlag, ein Gleis vollständig ins historische Bahnhofsgebäude zu verlegen, bedingt zudem massive Eingriffe in das nationale Baudenkmal, die dieses stark beeinträchtigen und kaum bewilligungsfähig wären. Eingriffe wären in der gesamten Häuserzeile (Coop-City, Stadttor, Stellwerk) nötig. Werden diese geschont, verschiebt sich die Bahnanlage weit in die Rudolfstrasse.
Ein «Stadtperron» auf der Seite Rudolfstrasse ist grundsätzlich eine spannende Idee. Durch den vorhanden Höhenunterschied von rund 1,5 Metern ist er aber nicht ebenerdig umsetzbar. Das Gleisbett des äussersten Gleises kann maximal 65 Zentimeter abgesenkt werden, ohne dass Strassen- und Personenunterführungen neu gebaut werden müssen. Damit verbleibt ein Niveausprung zur Rudolfstrasse von rund einem Meter, was Treppenbauwerke mit entsprechendem Platzbedarf nötig macht – auf Kosten der Durchfahrtsbreite. Insgesamt fehlt laut Fachgutachten für einen achtgleisigen Durchgangsbahnhofs in Winterthur schlicht der Platz. Er wäre nur mit massiven Eingriffen in die Rudolfstrasse und/oder die Häuserzeile mit dem historischen Bahnhofsgebäude umsetzbar.
Wendebahnhof als Bestlösung und städtebauliche Chance
Ein Bahnhof mit sieben Durchgangsgleisen und einem Wendebahnhof hingegen ist die stadtverträglichste Lösung. Er ist mit relativ kleinen Eingriffen umsetzbar und eröffnet spannende Entwicklungsmöglichkeiten im Areal Vogelsang, die ohne den Wendebahnhof aus Gründen des Denkmalschutzes nicht vorhanden wären. Zudem ermöglicht der Wendebahnhof eine neue Fussverbindung über die Gleise ins Sulzer-Areal. Ebenfalls eine wichtige Erkenntnis: Sehr langfristig soll ein viergleisiger Tiefbahnhof mit mindestens sechs oberirdischen Durchgangsgleisen als Entwicklungsmöglichkeit möglich bleiben. Im betrachteten Zeitabschnitt bis 2050 wäre er aber stark überdimensioniert und eine Finanzierung unrealistisch.
Insgesamt bestätigt das Fachtgutachten die bisherige Stossrichtung des Stadtrats. Basierend auf seinen Schlussfolgerungen soll die Testplanung Stadtraum HB im Herbst 2025 starten. Die Erkenntnisse aus der Testplanung werden auch als Entscheidungsgrundlage für den definitiven Variantenentscheid zum Ausbau des Bahnhofs dienen. Die Idee eines «Stadtperrons» auf Seite Rudolfstrasse kann von den Teams in der Testplanung vertieft werden.
Weisung an das Stadtparlament: parlament.winterthur.ch