Knapper Entscheid für Werke AG
Die bürgerliche Mehrheit in Winterthurs Stadtparlament beschloss: Die städtischen Werke sollen grösstenteils verselbstständigt werden. Doch das Volk entscheidet.
Von Martin Gmür
In beiden Blöcken fehlte je ein Ratsmitglied, sonst waren die Reihen geschlossen - auch jene auf der Zuschauertribüne. Alle waren sich der Bedeutung der Debatte bewusst, entsprechend wurde auch gekämpft. Doch alle beherzigten den Wunsch des Ratspräsidenten, den parlamentarischen Anstand zu wahren.
Für FDP der einzige richtige Weg
Verselbstständigt (nach SP-Sprachregelung privatisiert) werden sollen die Geschäftsbereiche Gas, Strom, Kehrichtverbrennung, Fernwärme und das neue Energie-Contracting. Wasser, Abwasser, öffentliche Beleuchtung, Kehrichtsammeldienst und Deponie würden bei der Stadt bleiben, teilweise aber von der zu gründenden Aktiengesellschaft betrieben. Im Verwaltungsrat der AG würden zwei Stadträte sitzen, alle sieben Stadträte miteinander würden bis auf weiteres die Generalversammlung bilden. Die 300 Angestellten der Werke würden vorläufig zu gleichen Bedingungen weiterbeschäftigt. Dieter Kläy (FDP) nannte diese Anstellungsbedingungen "sehr weitgehende Sicherheiten" und bezeichnete die Verselbstständigung als notwendig, um flexibel reagieren zu können im liberalisierten Strommarkt. Dieser komme so oder so.
Seine Fraktionskollegin Mireille Schaffitz sagte, nur mit einer Verselbstständigung könnten das Stadtwerk und die Arbeitsplätze erhalten werden. Zudem müsste der Verkauf jeder Aktie vom Gemeinderat diskutiert und bewilligt werden. Die wirkungsorientierte Verwaltungsführung (WOV) sei keine Alternative zu einer nach Privatrecht organisierten AG, weil der Handlungsspielraum in der Verwaltung geringer sei.
Linke wollen Stromnetz behalten
Die Gegenposition vertrat Gewerkschafter Jorge Serra (SP). Er bezeichnete diesen ersten Schritt der Privatisierung als "Einstiegsdroge". Es sei nur eine Frage der Zeit, bis Aktienverkäufe getätigt würden. Insbesondere sei es unnötig, das Gas- und Stromnetz sowie die KVA zu privatisieren. Die Versorgungsnetze seien ein "natürliches Monopol": Es gebe kein zweites, und es bestehe kein Markt, deshalb soll es städtisch bleiben. Er verglich es mit dem Strassen- und dem Kabelantennennetz: Das Strassennetz werde auch nicht privatisiert, und bei den Kabelnetzen seien jene Gemeinden am besten gefahren, die ihre eigenen Netze behalten und weiterbetreiben würden: Küsnachter Fernsehbesitzer zahlen 13 Franken pro Monat, Uitikoner 15, Winterthurer mit Cablecom aber 24 Franken.
Weitere SP-Rednerinnen kritisierten Details: Für die Juristin Marianne Ott sind insbesondere die juristischen Verträge zwischen der Stadt und der künftigen AG "völlig ungenügend". Eine Einschätzung, die offenbar vom ehemaligen Stadtschreiber, Alt-Bundesrichter und jetzigen Uni-Professor Karl Spühler (SVP) geteilt wird. Er habe sie ausdrücklich dazu ermächtigt, sagte Ott, diese Kritik im Rat anzubringen. Die Informatikerin Hedi Strahm (SP) sagte, die Stadt sollte das Stromnetz nicht aus der Hand geben, weil es als so genannte Powerline in Zukunft für die Datenübertragung genutzt werden könne. Eine Technologie, die marktreif sei und "grosse finanzielle Gewinne" verspreche. Im ganzen Regelwerk sei aber davon nirgends die Rede.
EVP gespalten, SVP und CVP dafür
Werner Steiner (SVP) gab die Zustimmung seiner Fraktion zur Verselbstständigung bekannt "im Sinne einer Kompromisslösung". Haymo Empl sagte ja namens der CVP, und Stadtratskandidatin Ruth Kleiber (EVP) bekannte sich einmal mehr zur Mitte: drei Fraktionsmitglieder seien für die Verselbstständigung, zwei würden das Geschäft zusammen mit SP und Grünen gerne zwecks Redimensionierung an den Stadtrat zurückweisen.
Stadtrat Leo Iten (SVP) wehrte sich gegen die Rückweisung: Die Verselbstständigung der Werke sei ein wichtiger Schritt, aber eine moderate Form. Den Rückweisungsantrag der SP unterstützten neben den Grünen zwei EVP-Vertreter. Der Rat trat mit 29 gegen 28 Stimmen auf das Geschäft ein. Zahlreiche Änderungsanträge der Linken hatten im Anschluss daran keine Chance, verzögerten aber die Schlussabstimmung bis nach 23 Uhr. Die Volksabstimmung findet voraussichtlich im September statt.