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Ein Werk ohne Netz ist nichts

24.02.2001
Landbote vom 24. 2. 2001

STADTRAT LEO ITEN ZUM FREIEN STROMMARKT UND ZUR VERSELBSTSTÄNDIGUNG DER WERKE

«Ein Werk ohne Netz ist nichts»

Am Montag beschliesst der Gemeinderat über eines der gewichtigsten Geschäfte der laufenden Legislatur, die Verselbstständigung der Städtischen Werke zu einer gemischtwirtschaftlichen Aktiengesellschaft.

INTERVIEW: ANDRI BRYNER

Was können die Städtischen Werke heute nicht, das sie als selbstständige AG tun könnten?

Leo Iten: Wir können uns heute nicht nach betriebswirtschaftlichen Kriterien verhalten und sind zu wenig beweglich, da wir in der Verwaltung eingebunden sind. Wir haben zu wenig Kompetenzen, auch die einzelnen Mitarbeitenden.

Ihre Gegner sagen, auch innerhalb der Verwaltung könne rasch gehandelt werden. Das habe die Einführung des Contracting-Geschäfts bewiesen.

Es ist Ansichtssache, ob man eineinhalb Jahre als schnell empfindet. In einer AG wäre das wahrscheinlich innert drei, vier Monaten erfolgt.

Wo profitiert Winterthur?

Die sechstgrösste Schweizer Stadt soll und kann mit der Ausgliederung ein eigenes Werk behalten, und sie hat auch weiterhin mitzureden - viel mehr übrigens als in anderen Städten.

... und wo der einzelne Haushalt?

Sicher wird er weiter aus einer Hand und von einem Anbieter vor Ort ein breites Angebot erhalten. Die Strompreise werden bei grösseren Bezügern sinken. Im internationalen Vergleich liegen wir dort zu hoch. Bei den Haushaltkunden, wo wir heute schon im europäischen Mittelfeld liegen, wage ich keine Prognose. Hier wird der freie Markt nach dem Elektrizitätsmarktgesetz (EMG) auch erst in sechs Jahren spielen.

Genau dann, wenn die Strompreise wieder steigen?

Ich mache keine Versprechungen. In Deutschland sind die Preise nach der Liberalisierung zwanzig bis dreissig Prozent gefallen und ziehen jetzt wieder leicht an.

Schon vor der Marktöffnung wird intensiv um Kunden geworben. Haben die Werke Kunden verloren oder nur mit nicht mehr kostendeckenden Preisen halten können?

Unsere Preise sind kostendeckend. Wir haben bei der NOK günstigere Einkaufspreise ausgehandelt. Mit drei Grosskunden haben wir Sonderverträge und im Rahmen der Swiss Citypower haben wir einige Verträge mit Bündelkunden. Wir haben aber auch Kunden in der Grössenordnung von einigen Zehntausend Franken Umsatz verloren. Unangenehm ist vor allem, dass wir nicht wissen, wer schon Verträge mit einem anderen Anbieter abgeschlossen hat. Deutlich wird das erst, wenn wir plötzlich Stromrechnungen nicht mehr dem Kunden, sondern zum Beispiel nach Olten schicken müssen.

In Kalifornien ist die Stromversorgung nur fünf Jahre nach der Liberalisierung des Marktes nicht mehr sichergestellt. Sind ähnliche Zustände nicht auch für die Schweiz zu befürchten?

Diese Situation ist schlicht nicht vergleichbar: Niemand kann in der Energiebranche geschäften, wenn man ihm sowohl verbietet, neue Kraftwerke zu bauen als auch Verträge mit Lieferanten abzuschliessen und gleichzeitig die Verbrauchspreise fixiert. Auch in Deutschland ist nicht alles optimal gelaufen mit der Liberalisierung, doch genau vor diesem Hintergrund ist das Schweizer Elektrizitätsmarktgesetz entstanden, das diverse Sicherungen eingebaut hat.

Der Widerspruch - freier Markt hier, konkurrenzloses Netz da - bleibt.

Manche Leute tun so, als ob es für eine AG keine Kontrolle mehr gäbe. Wieso sollen ausgerechnet in Winterthur nur noch Billigst-Trafostationen gebaut werden? Da würde das Starkstrominspektorat intervenieren. Der Betrieb des Netzes und alles Drum und Dran in allen Sparten ist in der Schweiz längst durch übergeordnetes Recht geregelt.

Wer über den Anschluss zum Kunden verfügt, bestimmt allein über den Preis - eine klassische Monopolsituation, kritisieren Ihre Gegner.

Das EMG sagt klar, dass es keine Monopolrendite geben darf. Das Festsetzen eines politischen Preises, wie bis anhin, ist untersagt. Da wird der Preisüberwacher seinen Finger daraufhalten, es gibt Einsprachemöglichkeiten. Wenn Winterthur für den Netzbetrieb also plötzlich zwanzig Prozent mehr verlangt als ein vergleichbares anderes Werk, wird garantiert interveniert.

Dann ist für Sie die Forderung von SP und Grünen, das Netz auszuklammern, keine Alternative?

Nein. Was ist ein Werk ohne Netz? Nichts. Da gingen Effizienz und eine Einheit verloren, auch eine wirtschaftliche. Es ist meine Pflicht sie zusammenzuhalten. Alle Investitionen, nicht nur die Verteilnetze, sind von der Kundschaft bezahlt, nicht aus Steuermitteln.

Ihr Kollege Thomas Wagner in Zürich muss jetzt aber vermutlich eine Vorlage bringen ohne das Netz.

Wagner bedauert den Entscheid nach wie vor und bezeichnet die jetzt in Vorbereitung stehende Lösung als Versuch, zu retten, was noch zu retten ist. Kurz vor dem Stadtzürcher Nein zur EWZ-Vorlage hat übrigens Luzern die Stadtwerke und die Verkehrsbetriebe in eine AG überführt. Oder schauen Sie nach Kloten, Uster oder Aarau - alles Städte, wo die Werke selbstständig sind, aber davon spricht niemand.

Nehmen wir das schlecht unterhaltene Schienennetz in England. Werden negative Folgen von Verselbstständigungen wirklich nur herbeigeredet?

Jeder Versorger hat grösstes Interesse an einem gut unterhaltenen, effizienten Netz - denken Sie nur an die Stromverluste. Zudem hat die Geschäftsprüfungskommission eine weitere Sicherheit verlangt: Würde die AG den Service public vernachlässigen, kann die Stadt auf Kosten der AG eingreifen. Schwierig wird es dann, wenn nicht längerfristig geplant werden kann. Werden die Verträge nur für fünf Jahre abgeschlossen, wie das die SP will, wird eine AG für Investitionen Geld von der Stadt verlangen. Ob das die Stadt dann günstiger kommt, bezweifle ich. Beteiligen würde sich an einer solchen Gesellschaft jedenfalls mit Sicherheit niemand.

Wie sichern Sie ab, dass aus Preisgründen die Stadtwerke AG künftig nicht nur noch Atomstrom oder Kohlestrom aus dem Osten verkauft?

Natürlich kann beim Stromeinkauf auch einmal solcher Strom dabei sein. Zwei Drittel des heute von der NOK gelieferten Stroms stammen übrigens aus Kernkraftwerken. Ich habe aber kein ungutes Gefühl. Mittelfristig müssen auch Staaten wie Tschechien ihre Kraftwerke modernisieren, weil sie in die EU wollen. Persönlich würde ich nie dort einkaufen. Zurzeit sind wir vertraglich an die NOK gebunden. Wenn das EMG in Kraft tritt gibt es andere Möglichkeiten. Mit fast 500 Gigawattstunden sind die Städtischen Werke selbst ohne Allianz ein interessanter Kunde.

Der Strommarkt ist die treibende Kraft hinter der Verselbstständigung. Warum wollen Sie auch die Fernwärme und die Gasversorgung ausgliedern?

Bei beiden Energieträgern stehen wir heute schon in Konkurrenz zum Öl. Beides sind überhaupt nicht zwingend öffentliche Aufgaben. Das ist in Winterthur so entstanden. Es ist wichtig, dass eine künftige AG über einer kritischen Grösse liegt. Wir sind effizienter und der Kunde erhält alles aus einer Hand. Unterdessen sind etliche Städte, wie Schaffhausen oder Bern, auch dazugekommen, alle ihre Werke zusammenzunehmen. Eine Ausnahme ist Zürich, wo die einzelnen Sparten gross genug sind, um allein auf dem Markt zu bestehen.

Synergien gäbe es noch mit etlichen anderen Bereichen, zum Beispiel der Wasserversorgung oder der Deponie. Sie sind von der Verselbstständigungsvorlage ausgenommen.

Zu Beginn haben wir 16 Organisationsvarianten geprüft, auch sehr weit gehende. Doch das hätte neue Fragen zur Organisation der Stadtverwaltung aufgeworfen und wir stünden nicht da, wo wir heute sind. Die Wasserversorgung und die Kläranlage sind nach den Hearings ausgeklammert worden. Das ist ein Winterthurer Kompromiss. Andere Städte - Kloten, Uster oder Zug - haben den Bereich Wasser mit ausgegliedert, und es funktioniert. Effizient arbeiten können wir aber nur, wenn Betriebsführungsverträge abgeschlossen werden, denn in den Bereichen Gas und Wasser arbeiten dieselben Leute.

Sie beziffern den Wert der Anlagen auf 170 Millionen Franken. Das Volk hat aber allein für die Spannungsumstellung Investitionen von 187 Millionen bewilligt und der neue Werkhof im Schöntal hat 50 Millionen gekostet. Wie erklären Sie diese Differenzen?

Die Berechnung basiert auf dem Ertragswert. Genau genommen könnte die Spannungsumstellung ebenso gut als Unterhalt bezeichnet werden, denn wir verkaufen damit keine Kilowattstunde mehr Strom. Selbstverständlich könnten wir mit grossem Fleiss den aktuellen Wert jedes Kabels berechnen. Aber das bringt uns nicht weiter. Wirklich interessiert nur der Ertrag der Unternehmung. Wenn es je soweit kommt, wird auch ein Aktienkäufer danach fragen. Dann müsste sich der wahre Wert zeigen. Bevor StWW-Aktien auf dem Markt sind, ist diese Diskussion müssig. Ausserdem käme ein Gewinn ja der Stadt zugute.

Worauf der Kanton postwendend weniger Steuerfussausgleichsgeld nach Winterthur schicken würde?

Ich finde es immer noch angenehm, wenn eine Stadt ihre Aufgaben selbst bezahlen kann und nicht mit ihrem Budget nach Zürich muss. Und ich hoffe, dass der neue Finanzausgleich steht, bis einmal eine StWW-Aktie verkauft wird.

Jährlich sind 8 bis 10 Millionen von den Werken in die Stadtkasse gekommen. Wohin fliesst dieses Geld künftig?

Die Stadt erhält eine Dividende auf ihren Aktien und eine Konzessionsgebühr, in den ersten fünf Jahren 5 Millionen Franken, zusammen rund 8 Millionen. Dazu profitiert die Kundschaft, weil sie günstiger einkaufen kann.

Anders als die Stadt heute, müsste die AG aber einen Gewinn versteuern.

Ich habe noch keine Antwort des Kantons, ob die AG steuerbefreit wäre. Aber wäre es denn etwas Unanständiges, Steuern zu bezahlen? Es gibt auch die Möglichkeit alle Gewinne mit günstigeren Preisen den Kunden weiterzugeben, dann stellt sich diese Frage gar nicht.

Kandidieren Sie 2002 nochmals für den Stadtrat oder liebäugeln Sie mit einem Mandat als Verwaltungsrat in der StWW AG?

Mich rührt diese Fürsorge. Aber etwas dazu sagen kann ich erst, wenn die Vorlage durch Parlament und Volk ist. Dann wird sich auch der Gesamtstadtrat zum weiteren Vorgehen äussern.

Nervosität auf beiden Seiten

Der Departementsvorsteher der technischen Betriebe, Leo Iten, wehrt sich gegen die Vorwürfe des VPOD. Der Direktor der Städtischen Werke (StWW), von Burg, und Iten würden ihre Mitarbeiter systematisch mit Informationen pro Verselbstständigung bombardieren, hat die Gewerkschaft in einer Medienmitteilung geschrieben und dabei auch den Begriff der Gehirnwäsche verwendet («Landbote» von gestern). Er hoffe, kontert nun Iten in einer Stellungnahme, dass am Montag die Mehrheit im Gemeinderat den Anträgen des Stadtrates und der Geschäftsprüfungskommission folgen werde. «Selbstverständlich respektiere ich, dass es dazu andere Meinungen gibt», schreibt er weiter. Dass aber das Personal manipuliert werde, sei nicht nur falsch, sondern der Anwurf sei «völlig absurd» und liege im Stil unter der Gürtellinie. Die laufende Information sei Pflicht der Departementsleitung.

Auch ein Teil der StWW-Mitarbeitenden solidarisiert sich nicht mit dem VPOD und dem Personalverband, der sich ebenfalls negativ zur Verselbstständigung geäussert hat. Es sei nicht richtig, schreibt die «Aktion Mitarbeitende pro Verselbstständigung», wenn der VPOD von einer mehrheitlich ablehnenden Meinung in den StWW-Reihen berichte. Höchstens ein Fünftel der Mitarbeitenden sei Mitglied in der Gewerkschaft und sogar unter ihnen seien die Meinungen geteilt. Grundsätzlich stehe der überwiegende Teil der Mitarbeitenden der Verselbstständigung positiv gegenüber.

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