Abstimmung verschoben
Der Winterthurer Stadtrat will das Volk erst nächstes Jahr über die Ausgliederung der Stadtwerke abstimmen lassen. 'Aus Angst vor dem Volk', behauptet die SP.
Von Andreas Mösli
Bis jetzt galt immer der 23. September als voraussichtlicher Abstimmungstermin für die Verselbstständigung der Städtischen Werke Winterthur (StWW). Werkvorsteher Leo Iten (SVP) hatte dieses Datum angekündigt, festlegen wollte er sich jedoch nicht - bis gestern Mittwoch: Die Ausgliederung von Strom, Gas, KVA, Fernwärme und Energie Contracting in eine Aktiengesellschaft wird definitiv erst im Laufe des nächsten Jahres vors Volk kommen. Dies hat der Gesamtstadtrat an seiner Sitzung beschlossen. Der genaue Zeitpunkt ist noch offen, denn - das ist die offizielle Begründung für den stadträtlichen Beschluss - zuerst soll das Schweizervolk über das Elektrizitätsmarktgesetz (EMG) entscheiden. Es sei wichtig, heisst es in einer Mitteilung aus dem Stadthaus, dass in Winterthur erst dann über die Vorlage abgestimmt werde, wenn die übergeordneten Rahmenbedingungen für die Öffnung des Strommarktes geklärt seien (siehe Interview rechts).
Die freisinnige Fraktion des Stadtparlaments begrüsst den Entscheid des Stadtrats. Die FDP hatte die Vorlage schon im Gemeinderat einstimmig unterstützt - und tut dies auch heute noch, wie es in einer Mitteilung der Partei heisst.
Anders tönt es im Lager der Privatisierungsgegner: 'Der Stadtrat hat Angst vor dem Volk', titelt die SP in ihrem Communiqué und meint damit eine mögliche Abstimmungsniederlage. Dass nun erst 2002 abgestimmt wird, sei demokratisch heikel und fragwürdig, schreibt SP-Gemeinderat und VPOD-Sekretär Jorge Serra. Nicht das EMG sei der Grund, sondern die verlorenen Abstimmungen in der Stadt und im Kanton Zürich. Die SP hatte die Vorlage im Parlament zusammen mit den Grünen bekämpft - erfolglos. Nun fordern SP und Grüne in einer Motion, die Beschlüsse des Gemeinderats aufzuheben.
Iten wehrt sich gegen die Vorwürfe von links und verweist auf den zeitlichen Ablauf der Geschäfte: Als der Stadtrat vor Jahresfrist die StWW-Vorlage zuhanden des Parlaments verabschiedet habe, sei er davon ausgegangen, dass der Elektrizitätsmarkt ab 2001 schrittweise liberalisiert werde. Als der Gemeinderat die Vorlage im Februar 2001 gutgeheissen habe, sei zwar bekannt gewesen, dass das Referendum gegen das EMG ergriffen werde. Iten: 'Eine Inkraftsetzung des Gesetzes auf 1. Januar 2002 war damals jedoch immer noch realistisch.' Nach dem Zustandekommen des Referendums habe der Bundesrat die Abstimmung zuerst auf den September angesetzt, dann auf den Dezember verschoben und kürzlich auf das nächste Jahr.
Keine Änderungen für den Konkurs
Neues meldete der Stadtrat gestern auch in der Frage, ob die Vereinbarungen zwischen der Stadt und der vorgesehenen Werke AG im Konkursfall taugen würden. Der Winterthurer Rechtsprofessor und ehemalige SVP-Bundesrichter Karl Spühler hatte das Vertragswerk verschiedentlich als juristisch 'absolut ungenügend' kritisiert und dies im TA auch ausführlich dargelegt. Dabei machte sich der Konkursspezialist bei den Befürwortern der Vorlage unbeliebt. Werkvorsteher Iten kündigte zwar an, mit seinem Parteikollegen Kontakt aufzunehmen - ein offizielles Treffen hat es jedoch nie gegeben.
Stattdessen hat der Stadtrat einen anderen Juristen beauftragt, die Verträge nochmals konkursrechtlich zu beurteilen: Laut Iten kam Professor Hans Ulrich Walder zum Schluss, es seien keine Änderungen in den Vereinbarungen nötig. Dafür will der Stadtrat in der Vernehmlassung zur Elektrizitätsmarktverordnung anregen, dass auf bundesrechtlicher Ebene eine Sicherung eingebaut wird, damit die Stromlieferung 'nicht allein den Marktmechanismen überlassen bleibt'.
Spühler überrascht
Die FDP nimmt die Beurteilung des externen Juristen 'befriedigt' zur Kenntnis. Dies verwundert nicht, hatte sich doch im März schon FDP-Gemeinderätin und Oberrichterin Mireille Schaffitz heftig gegen die Kritik von Karl Spühler gewehrt. Die Präsidentin der vorberatenden Geschäftsprüfungskommission hatte sich in die Debatte eingeschaltet, weil sie von der SP als Mitverantwortliche 'für diesen Schlamassel' bezeichnet worden war.
Karl Spühler zeigte sich überrascht, als er den Namen Walder hörte. 'Dass der Stadtrat nicht mich gewählt hat, ist mir klar', sagte er auf Anfrage. Aber Walder gehöre heute nicht mehr zu den aktuellen Konkursspezialisten. Walders Fazit wollte Spühler aber nicht kommentieren, da er weder Fragestellung noch Antwort kenne. 'Mein Gewissen und mein Verantwortungsgefühl sagen mir aber: Bei dieser Vorlage muss ich Nein stimmen.'
Nachgefragt
Der Stadtrat fürchte weder das Volk noch die Niederlage, sagt Leo Iten. Die Verschiebung der Abstimmung über die Werke sei 'vernünftig'. »