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Administrativuntersuchung Stadtpolizei: Kulturwandel und differenziertes Führungsverständnis notwendig

25.11.2022
Die Administrativuntersuchung bei der Stadtpolizei nach zwei Suiziden ist abgeschlossen. Die Untersuchung identifizierte belastende polizeiinterne Faktoren am Arbeitsplatz. Inwieweit diese zu den beiden Suiziden beigetragen haben, war nicht Gegenstand der Untersuchung und bleibt somit offen. Die Untersuchenden üben insbesondere Kritik an der Kultur und am Führungsverhalten auf verschiedenen Stufen. Dies hat zur Folge, dass nun vordringlich ein Kulturwandel und ein differenziertes Führungsverständnis angestrebt werden.

Die Administrativuntersuchung bei der Stadtpolizei nach zwei Suiziden ist abgeschlossen. Die Untersuchung identifizierte belastende polizeiinterne Faktoren am Arbeitsplatz. Inwieweit diese zu den beiden Suiziden beigetragen haben, war nicht Gegenstand der Untersuchung und bleibt somit offen. Die Untersuchenden üben insbesondere Kritik an der Kultur und am Führungsverhalten auf verschiedenen Stufen. Dies hat zur Folge, dass nun vordringlich ein Kulturwandel und ein differenziertes Führungsverständnis angestrebt werden.

Im Juli 2021 und im Februar 2022 nahmen sich zwei Stadtpolizisten das Leben. Der Stadtrat hat die beiden Suizide mit grosser Betroffenheit und Sorge zur Kenntnis genommen und im Februar beschlossen, den Sachverhalt rund um die beiden Suizide aufsichtsrechtlich untersuchen zu lassen. Er beauftragte die renommierte Anwaltskanzlei Rudin Cantieni Rechtsanwälte AG mit der Aufgabe (Medienmitteilung vom 23. Februar 2022). Der Stadtrat hat nun vom Schlussbericht Kenntnis genommen und betrachtet ihn als wertvolle Grundlage für die Weiterentwicklung der Stadtpolizei.

Die umfangreiche Untersuchung über den Zeitraum von 2018 bis 2021 bzw. Februar 2022 zu den Vorkommnissen in der Quartierpolizei führte zu nachfolgenden Feststellungen und Beurteilungen:

Selbstverständnis Stadtpolizei

Die Untersuchenden kommen zum Schluss, dass die Stadtpolizei Winterthur ein in sich geschlossenes System ist, das nach eigenen Regeln funktioniert. Der Begriff der Loyalität spielt eine zentrale Rolle: Anweisungen sind zu befolgen; wer dies nicht tut, gilt als illoyal. Kritik an Vorgesetzten und an der Gesamtorganisation ist nicht erwünscht. Aus dieser Dynamik bildet sich eine Polizeikultur heraus, die sich von der übrigen Stadtverwaltung abhebt. Aussenstehenden wird die Kompetenz abgesprochen, das System Stadtpolizei zu verstehen. Dieses Selbstverständnis beeinflusst die Zusammenarbeit und die Kommunikation mit stadtinternen Schnittstellen. Exemplarisch förderte die Untersuchung zutage, dass im Personalbereich festgelegte städtische Prozesse umgangen wurden.

Führungsverständnis Stadtpolizei

Das Selbstverständnis der Stadtpolizei spielt stark ins Führungsverhalten hinein: Die Stadtpolizei Winterthur ist streng hierarchisch organisiert. Die wesentlichen Entscheide werden vom Kommandanten getroffen, und es wird erwartet, dass die daraus folgenden Anordnungen in der Linie nach unten rasch umgesetzt und nicht hinterfragt werden. Kritische Stimmen sind nicht erwünscht, Mitsprache ist eingeschränkt. Aus diesem Führungsverständnis erwächst gemäss den Untersuchenden eine Problemkultur, die Schwierigkeiten nicht angeht, sondern unter den Teppich kehrt.

Die Einhaltung der Hierarchie und polizeiliche Ränge haben eine derart zentrale Bedeutung, dass auch bei der Besetzung von Kaderstellen vornehmlich darauf geachtet wird, wogegen Führungskompetenzen wie Kommunikationsfähigkeit, Ressourcenorientierung, Flexibilität, Empathie oder auch Problemlösungskompetenz keine Priorität geniessen. Die Untersuchenden kommen zum Schluss, dass ein hierarchischer Führungsstil in Polizeien zwar durchaus üblich und bei Ernstfalleinsätzen auch notwendig ist. Die auf Befehl und Gehorsam ausgerichteten Strukturen sind für die tägliche Führung einer Organisation in personeller Hinsicht jedoch aus der Zeit gefallen und deshalb inadäquat. Es ist unbedingt zu unterscheiden zwischen einer Führung im Einsatz und einer Personalführung im Alltag.

Ferner wird ausgeführt, dass für Strukturen, in denen der Kommandant als Einzelperson die wichtigen Entscheide fällt, die Stadtpolizei mit 250 Mitarbeitenden zu gross ist. Diese Führungsspanne ist nicht zu bewältigen und entsprechend auch nicht verantwortbar. Ausserdem wird die Konzentration der Entscheidkompetenz auf eine Person als Risiko bezeichnet: Die Prozesse, die zu Entscheidungen führen, sind nicht klar festgelegt, und vorhandene städtische Strukturen werden situativ nicht eingehalten.

Die Quartierpolizei im Untersuchungszeitraum

In der Quartierpolizei hatten sich seit ihrem Bestehen eine von der übrigen Stadtpolizei abweichende Kultur und ein weniger streng hierarchischer Führungsstil etabliert, der den Teammitgliedern eine mehrheitlich freie Arbeitsgestaltung und -einteilung ermöglichte. Mit einem Führungswechsel in der Quartierpolizei erfuhr die Kultur in der Quartierpolizei einen Paradigmenwechsel. Die Ansprüche der Stadtpolizei bezüglich Loyalität im Sinne von Gehorsam galten nun auch in diesem Bereich, was durch die übergeordneten Stellen gestützt wurde.

Die Untersuchenden beurteilen den Anspruch, «frischen Wind» in die Quartierpolizei zu bringen, sie zu modernisieren, veraltete Strukturen zu überwinden und die Leistungen messbarer zu machen, als grundsätzlich legitim und nachvollziehbar. Allerdings gelang es nicht, die Teammitglieder für die Neuerungen zu motivieren respektive sie mit an Bord zu nehmen, was wiederum auch an einer anspruchsvollen Teamkonstellation gelegen haben dürfte. Aus den Befragungen ging hervor, dass die neue Tonalität im Team Widerstand erzeugte und der neue Führungsstil nicht mit den Bedürfnissen der Mannschaft zusammenpasste.

Im März 2021 eskalierte der bestehende Konflikt. Ein gemäss den Untersuchenden – trotz intern geäusserter juristischer Bedenken – mangelhaft durchgeführtes und unverhältnismässiges personalrechtliches Verfahren gegen einen Mitarbeiter führte zu dessen krankheitsbedingtem Ausfall. In seiner Abwesenheit wurden die Quartiere neu aufgeteilt, wobei der krankgeschriebene Polizist ein neues Gebiet erhalten sollte. Über die Neuzuteilung wurde er jedoch vor der öffentlichen Bekanntmachung nicht persönlich informiert. Mitte Juli nahm sich der Polizist das Leben. Danach fand innerhalb der Stadtpolizei eine Reihe von Gesprächen statt. Ende August 2021 überreichten die Quartierpolizisten anlässlich eines Gesprächs mit dem Kommandanten, dem zweiten Vize-Kommandanten, einer externen Psychologin und – in Kopie – der Departementsleitung sowie dem Polizeibeamtenverband ein Schreiben, in dem der Konflikt dargestellt und eine Veränderung im Arbeitsumfeld gefordert wurden.

In der Folge hielt das Kommando bzw. formell der Kommandant an der bestehenden Struktur fest. Der Widerstand wurde zur Kenntnis genommen, hatte auf die Entscheidung jedoch keinen Einfluss. Es folgten weitere Gespräche, und den Quartierpolizisten wurde angeboten, alternativ zum Verbleib in der Quartierpolizei in die neu geschaffene Schaltergruppe zu wechseln. Zwei Quartierpolizisten machten von dieser Möglichkeit Gebrauch – einer umgehend, der andere mit Verzögerung. Letzterer startete anfangs Januar 2022 in der Schaltergruppe, fiel kurz darauf aber krankheitshalber aus. Als er am 11. Februar seine Arbeit wieder aufnehmen sollte, nahm er sich im Gebäude der Stadtpolizei das Leben.

Die Untersuchenden kommen zum Schluss, dass die Vorgehensweise bei der Neuzuteilung der Gebiete unverhältnismässig war. Bei einer Umstrukturierung dieser Grössenordnung wäre im Vorfeld eine sorgfältigere Analyse angezeigt gewesen. Zusammenfassend stellen sie fest, dass der Entscheid zur Neueinteilung unsorgfältig vorbereitet sowie übereilt gefällt und kommuniziert wurde. Im Weiteren seien mit der Übergabe des Briefes der Quartierpolizisten Ende August 2021 alle relevanten Akteure über die Probleme in der Quartierpolizei im Bilde gewesen. Gemäss den Untersuchenden fand abgesehen von Gesprächen keine ernsthafte, vertiefte Sachverhaltsabklärung und Problemanalyse statt. Die Quartierpolizisten wurden in ihren Anliegen nicht ernst genommen. Es wurde primär versucht, den Konflikt mit formeller Macht zu beenden.

Schlussfolgerungen

Aufgrund der Untersuchungsergebnisse muss der Stadtrat zur Kenntnis nehmen, dass sich in der Stadtpolizei ein von seinem eigenen abweichendes Führungsverständnis entwickelt hat, das auf Befehl und Gehorsam und einem rigiden Loyalitätsverständnis beruht. Das Hinterfragen von Anweisungen oder allgemeiner Leitungsentscheide gilt als illoyal, und Kritik an Vorgesetzten und der Gesamtorganisation ist nicht erwünscht. Da aus Sicht der Führung der Stadtpolizei die Quartierpolizei seit Langem zu viele Freiheiten genoss, wurde ein Führungswechsel dazu genutzt, das eigene Führungsverständnis auch in der Quartierpolizei durchzusetzen. Mit dem sich daraus ergebenden Konflikt wurde in vielerlei Hinsicht nicht angemessen umgegangen. Als dieser eskalierte, wurde trotz intern geäusserter juristischer Bedenken ein nicht den städtischen Regeln entsprechendes personalrechtliches Verfahren durchgeführt. Dies letztlich im Sinne des Statuierens eines Exempels zur Durchsetzung des eigenen Führungsverständnisses. Nach dem ersten Suizid wurden zwar verschiedene Gespräche geführt und auch führungsbezogene Massnahmen ergriffen, die aber die Sichtweise der Quartierpolizei zu wenig berücksichtigten und von der Überzeugung geprägt waren, sich nicht von unten führen zu lassen. Der bestehende Konflikt konnte damit nicht befriedigend gelöst werden.

Empfehlungen

Die Untersuchenden haben eine Reihe von Empfehlungen für die Zukunft der Stadtpolizei abgegeben. Auf Ebene der Gesamtorganisation braucht es einen Kulturwandel. Es ist ein Führungsverständnis anzustreben, das zwischen dem Führen von Einsätzen und der Personalführung im Alltag differenziert. Regelmässige Schulungen, Weiterbildungen und auch Austauschmöglichkeiten für Kadermitarbeitende ab Stufe Dienstchef sollen gewährleisten, dass die Erwartungen in punkto Führungsverständnis transportiert werden und präsent bleiben. Im Rahmen der veränderten Führungskultur sollen auch die Prozesse klar definiert und Entscheidkompetenzen delegiert werden. Auf Ebene Quartierpolizei wird empfohlen, die künftige strategische Ausrichtung zu überprüfen und allfällige Anpassungen vorausschauend und sorgfältig zu planen. Auf personeller Ebene halten die Untersuchenden zudem fest, dass kein straf- und personalrechtlich relevantes Verhalten im Zusammenhang mit den Suiziden festgestellt wurde. Im Führungsverhalten und in der Führungskommunikation wurden Fehler gemacht, die aber im Lichte der langjährig etablierten Führungskultur zu bewerten sind. Inwiefern diese Fehler zu den Suiziden geführt haben, lässt sich nicht mehr eruieren. Die Untersuchenden gehen davon aus, dass auch Faktoren ausserhalb des Arbeitsplatzes eine Rolle gespielt haben könnten. Es ist daher nicht zulässig, einzelne Personen als Schuldige zu bezeichnen.

Würdigung der Empfehlungen durch den Stadtrat

Der Stadtrat folgt den Empfehlungen der Untersuchenden: Der Kulturwandel in der Stadtpolizei ist von zentraler Bedeutung. Die Implementierung eines neuen Führungsverständnisses wird durch die personelle Erneuerung der Geschäftsleitung begünstigt. Auf Basis der bereits angestossenen Wertediskussion und in Kenntnis der Untersuchungsergebnisse soll der Kulturwandel nun mit dem neuen Kommandanten, der am 1. Februar 2023 startet, bewusst und prioritär angegangen werden. Der Stadtrat wird sich regelmässig Bericht erstatten lassen. Ziel ist ein zeitgemässes Führungsverständnis, bei dem Mitarbeitende eingebunden werden sowie Kritik gehört und Verantwortung delegiert wird. Die konkrete Ausgestaltung der Massnahmen wird gemeinsam mit dem neuen Kommandanten festgelegt.

Persönlichkeitsschutz

Der Abschlussbericht enthält Informationen, die aus Gründen des Persönlichkeits- und Datenschutzes der betroffenen Personen nicht öffentlich zugänglich gemacht werden können. Eine Anonymisierung des Originalberichts wurde in Betracht gezogen. Es wurde jedoch davon abgesehen, einen solchen zu veröffentlichen. Würde der Bericht soweit geschwärzt, damit er Dritten zugänglich gemacht werden könnte, wäre er nicht mehr lesbar.

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